Der Wildschütz

Hermann Klostermann

(Hans - Dieter Hibbeln)

Der Wilderer Hermann Klostermann

Wahrheit und Legende?

 

In den vergangenen Jahren ist über keinen der zahlreichen Wilderer des Eggeraumes so viel spekuliert, geschrieben und dabei fabuliert worden, wie über Hermann Klostermann. Vieles in den Berichten entspricht der Wahrheit, ist Halbwahrheit, wurde frei erfunden, oder einfach unkritisch übernommen, weil es gerade in ein gewünschtes (Klostermann-)Bild paßte. In diesem Beitrag wird erstmalig der Versuch unternommen die Geschichte von Klostermann anhand nachprüfbarer Fakten darzustellen.

Faßt man zunächst die Darstellungen in der Literatur zusammen, so kommt vereinfacht etwa folgendes Klostermann-Bild heraus:
Geboren im Jahre 1839 verlor der Knabe sehr früh seinen Vater. Die Mutter heiratete den Förster Dalchow und zog mit ihm nach Hardehausen in das Forsthaus Mittelwald. Hier verlebte Klostermann eine unbeschwerte Kindheit. In ihm schlummerte der Wunsch später einmal Förster zu werden. Beim Stiefvater stieß dieser Wunsch aber nicht auf die gewünschte Gegenliebe. Schon früh stellte sich die Treffsicherheit beim Schießen heraus. Aber durch das schwierige Verhältnis zum Stiefvater erwies sich der sehnlichste Wunsch des Knaben als unerfüllbar. So glitt er später gezwungenermaßen in die Illegalität ab und jagte als Wilderer. Hier zeigte sich seine scheinbare Überlegenheit gegenüber den Förstern darin, daß er als Meisterschütze gepaart mit unerschöpflichem Mut und unwahrscheinlicher Beweglichkeit unangreifbar zu sein schien. In seiner Wildererlaufbahn werden drei Ereignisse in allen Darstellungen besonders hervorgehoben. Das Attentat am 1. Oktober 1867 auf den Oberförster v. Wrede; am 1. Februar 1868 wurde in der Nähe von Rhoden der Forstläufer Heinemann lebensgefährlich verletzt und zuletzt wurde am 24. Mai im "Orper Grund", bei dem Versuch Klostermann festzunehmen, sein Begleiter Lohoff aus Oesdorf erschossen.

Einen breiten Raum in den Zeitungsberichten nehmen die Nachrichten von seiner Festnahme am 13./14. Juni 1868 in Brilon und über die Gerichtsverhandlung vom 12. - 14. November 1868 in Paderborn ein.

Beginnen wir bei der Betrachtung eines realistischen Klostermann-Bildes zunächst einmal bei den zwischenzeitlich bekannten Lebensdaten. Geboren wurde Hermann Klostermann am 28. März 1839 in Retzin im Raum Brandenburg, dort hatten seine Eltern 1833 geheiratet. 1843 starb in Retzin der Vater von Klostermann, der Müller Johannes Joachim Heinrich Klostermann. Im darauffolgenden Jahr heiratete die Witwe Klostermann den Ernst Friedrich Wilhelm Dalchow, der am 8. 10. 1840 in den preußischen Militärdienst eingetreten war. 1855 bewarb sich Dalchow beim Regierungspräsidenten in Minden.

"Vor einiger Zeit erlaubte ich mir bei E. Hochwohlgeboren behufs einer Anstellung zum 1. October ganz gehorsamst anzufragen und zu bitten. Es ist jedoch mein Schreiben unbeantwortet geblieben. Gegenwärtig befinde ich mich außer Brot, weil ich mich um keine Stelle bekümmern konnte, da ich nicht im Besitze meiner Atteste bin und habe dieserhalb meinen Wohnsitz in Pritzwalk bei Kuhbier nehmen müssen. [...]
Kuhbier, den 10. October 1855"

Daraufhin wurde Dalchow die vorläufige Übernahme einer Forstaufseherstelle in Hakenberg zum 1. 11. 1855 übertragen. Nach dem Dienstantritt legte er hier am 5. Nov. den Diensteid ab.

Klostermann genügte von 1857 bis 1859 seiner Militärpflicht in Minden. Während dieser Zeit starb daheim in Hakenberg seine Mutter am 26. Juli 1858, sie wurde am 29. Juli auf dem dortigen Friedhof begraben. Außer ihrem Gatten hinterließ sie 5 Kinder. 3 Kinder, 2 Söhne und 1 Tochter aus 1. Ehe, und 1 Sohn und 1 Tochter aus der 2. Ehe mit dem Förster Dalchow. Kaum ein halbes Jahr später, nämlich am 30. Januar 1859, heiratete der Stiefvater von Klostermann erneut. Seine 2. Frau ist Friederica Dorothea Regina Gossow, Tochter des Försters aus Dahl.

Aus der Sicht von Klostermann sah es zu diesem Zeitpunkt etwa folgendermaßen aus: Seine Mutter war während seiner Militärdienstzeit verstorben, und als er nach Hause zurückkehrte, heiratete sein Stiefvater erneut. Klostermann kehrte in die Heimat zurück und fand ein völlig verändertes Umfeld in der Familie vor.

Unterstellt man nun, daß sein Verhältnis zum Stiefvater bereits zu Lebzeiten der Mutter angespannt war, konnte es nun mit einer Stiefmutter besser werden?
Spätestens hier wird deutlich, die bisher hartnäckig vertretene Theorie, daß Klostermann seine Jugend in Hardehausen verlebte habe, ist in das Reich der Phantasie zu verbannen. Übrigens wird der Ort Hakenberg in den zahlreichen Darstellungen an keiner Stelle erwähnt.
Wir wissen nichts darüber, ob Klostermann nach seiner Rückkehr vom Militär noch beim Stiefvater gewohnt hat, oder ob er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in die nahegelegenen Wälder abgesetzt hatte. Die Wilderei war in dieser Zeit keine Seltenheit. Um das Jahr 1856 schrieb der Forstmeister Olberg über die Hardehauser Jagd:

"[...] Wenn trotzdem der Wildbestand nur als mittelmäßig bezeichnet werden kann, so liegt die Schuld sicherlich nicht an der Behandlung der Jagd, sondern daran, daß das Revier fast ringsherum von hungrig beutesuchenden und nichts verschonenden westfälischen Jagdbesitzern umlagert ist. Teilweise wird es auch von Wilddieben aus Kleinenberg, Westheim und Willebadessen stark heimgesucht."

Bei diesen Rahmenbedingungen gab es für Klostermann überhaupt keine Schwierigkeiten Kontakt mit anderen Gesinnungsgenossen aufzunehmen und in die Wildererszene einzutauchen. Erstmalig erscheint 1862 in den Akten ein Hinweis auf seine Wilderertätigkeit. Am 14. Juli wurde Anton(!) Klostermann beim Wildern ertappt. Es gelang ihm jedoch die Flucht. Er ließ außer einem erlegten Rehbock noch einen Ladestock und ein Pulverhorn zurück.

"Der Anton Klostermann ist der Stiefsohn des Försters Dalchow in der Oberförsterei Hardehausen, woselbst er schon längere Zeit als Wilddieb verfolgt worden, hat als Soldat in Minden bei der 8. Comp., 15. Linien-Regiment gestanden, ist dort schon vielfach bestraft, worüber der Kreisfeldwebel zu Warburg wird genügenst Auskunft geben können, und treibt sich schon längere Zeit in den Wäldern umher und lebt von Wilddiebstahl; sein jetziger Aufenthalt ist unbekannt. Der g. Klostermann hat eine Größe von 6-7 Fuß ist schmächtig, hat eine feine Stimme, einen tänzelnden Gang, längliches Gesicht ohne Bart, hat eine doppelte Bekleidung Kittel und grauen Rock. [...]. Führt ein Gewehr bei sich, dessen Kolben zum Abschrauben ist und den er gewöhnlich unterm Kittel, dagegen den Gewehrlauf offen trägt."

Nach dieser Anzeige gelang es dann auch Klostermann im Oktober des Jahres 1862 festzunehmen.

"[...] teile ich hierdurch ergebenst mit, daß der Hermann Klostermann, Stiefsohn des Ihnen untergebenen Försters Dalchow, wegen Wilddiebstahls bei dem Gerichte zu Büren auf meine Veranlassung in Untersuchungshaft genommen worden ist;[...].

Erneute Nachrichten über Klostermann tauchen im Jahr 1865 auf. Mit Schreiben vom 29. Juli erreichte die Regierung in Minden folgende Mitteilung:

"[...] Ferner treibt eine Bande Wilddiebe, an deren Spitze der eben aus dem Zuchthause entlassene Klostermann steht, sein Unwesen in den hiesigen Forsten. [...] Diesen in Banden ausgeführten Wildereien kann aber durch die vorhandenen etatmäßigen Schutzbeamten nicht in genügender Weise entgegengetreten werden."

Am 29. November 1865 erschien im Waldeckschen Anzeiger eine Nachricht:

"Aus Arolsen erzählt man sich hier (in Brilon) Folgendes: Bei einem kürzlich stattgehabten Treibjagen im Thiergarten, an welchem seine Durchlaucht der Fürst mit hohem Gefolge Theil genommen, seien während Jagd hinter Letzterem Schüsse gefallen. Verschiedene Jäger, denen dieses aufgefallen, veranlaßten Nachforschungen und fanden, daß solche von dem, auch im Briloner Kreise gefürchteten Wilddieb Klostermann abgefeuert seien. Es wurde auch nach Letzterem geschossen und von 2 Schüssen verwundet, liegt er hier in Arolsen. Wir geben diese Nachricht ohne solche zu verbürgen, würden uns aber sehr freuen, von einem unserer Arolser Herren Correspondenten Näheres hierüber mitgetheilt zu erhalten.- Klostermann hat in dem Briloner Revier und auch in anderen Jagdbezirken schon manche chikanöse Wilddieberei ausgeführt, und den preußischen Behörden - die denselben schon lange (aber vergeblich) verfolgen ließen würde sehr damit gedient sein, diesen sauberen Herrn Klostermann von Waldeck aus überbracht zu sehen."

Diese, auf den ersten Blick spektakuläre Nachricht, wurde bereits am 11. Dezember in der gleichen Zeitung relativiert.

"Aus dem Waldeckschen, 5. Dez. [...] Was die Nachricht über den Wilddieb Klostermann betrifft, so dürfte dieselbe auf einen vor mehreren Jahren stattgehabten Vorgang zurückzuführen sein, wo Klostermann allerdings im fürstlichen Wildpark angetroffen und arrettiert und zur Strafe gezogen wurde. Der Artikel im Anz. legt dem Klostermann das Prädikat "gefürchtet" bei; indeß gibt es bei uns Leute, in deren Wörterbuch das Wort Furcht nicht zu finden ist. Es wurde auch damals ohne Umstände mit Klostermann verfahren, und als er das offene Ende des Gewehrs gegen sich gerichtet sah, ergab er sich ohne weiteres."

Hielten sich bisher die Nachrichten über Klostermann noch in Grenzen, so änderte sich dies schlagartig nach dem 1. Oktober 1867. Oberförster von Wrede war während eines Patrouillenrittes angeschossen und schwer verletzt worden. Die Regierung in Minden setzte auf den zunächst unbekannten Täter eine Belohnung von 200 Thlr aus. Natürlich geriet Klostermann sofort in Verdacht. Aber selbst v. Wrede, der Klostermann persönlich kannte, war sich anfänglich nicht sicher, daß er von Klostermann angeschossen worden war.

"Außer dem wegen Jagdfrevels schon mehrfach bestraften Klostermann giebt es, wie allgemein bekannt, in den Dörfern Wrexen, Westheim, Oesdorf und Willebadessen eine nicht geringe Zahl ähnlicher Subjekte, ebenso gefährlich wie ihr Genosse Klostermann, welche die Wilddieberei gewerbsmäßig betreiben. Dieselben schrecken in der Mehrzahl vor keinem Verbrechen zurück, sind aber dann ganz besonders gefährlich, wenn sie sich der Gefahr, ergriffen oder erkannt zu werden, ausgesetzt haben. Zum Beweise dessen scheint es nur der Anführung des im abgewichenen Jahre vorgekommenen Falles zu bedürfen um zu bemerken, daß der Oberförster v. Wrede noch heute mit aller Bestimmtheit versichert, nicht von Klostermann, sondern von einem ihm unbekannten Wilderer verwundet worden zu sein. Glaubhaft ist diese Versicherung um so mehr, als der Oberförster diesen Menschen persönlich kennt, letzterer auch, bei seiner Vernehmung über diesen Vorfall das Alibi unzweifelhaft bewiesen haben soll."

Es sollte noch etwa ein halbes Jahr dauern, bis Klostermann nach zwei weiteren spektakulären Vorfällen im Februar und Mai 1868 und verschiedenen erfolglosen Festnahmeversuchen endlich im Juni desselben Jahres in Brilon festgenommen und nach Paderborn in Haft gebracht werden konnte. Nach einem, für damalige Paderborner Verhältnisse aufsehenerregenden Gerichtsverfahren, wurde Klostermann zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner vorzeitigen Entlassung nach 6 Jahren wurde Klostermann erneut am 19./20. Juni 1880 durch den Rechtsanwalt Geissel aus Warburg in dessen Jagd beim Wildern angetroffen und festgenommen. Dieses Vergehen wurde mit einer 5jährigen Freiheitsstrafe, 5 Jahren Ehrverlust und der Zulässigkeit von Polizeiaufsicht geahndet. Kaum nach der Verbüßung der Strafe saß Klostermann Weihnachten 1885 erneut in einer Arrestzelle in Lichtenau um eine achttägige Arreststrafe zu verbüßen. In der Zelle in Lichtenau besuchte ihn ein Forstbeamter am 2. Weihnachtstage in staatlichem Auftrag. Klostermann sollte die Auswanderung nach Amerika schmackhaft gemacht werden. Aber wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes und der erwarteten Strapazen der Seereise lehnte er dieses Angebot ab. Stattdessen wollte er durch den Verkauf seines Photos und eines Buches seiner Jagderlebnisse etwas Geld verdienen.

Aus der Zelle in Lichtenau wurde Klostermann sofort nach Paderborn transportiert, wo er eine weitere 3wöchige Gefängnisstrafe absitzen sollte. Er war wegen verbotenen Aufenthalts am Scherfeder Eisenhammer angezeigt und vom Gericht verurteilt worden.

Mit diesem Aktenvermerk erlöschen auch die nachweisbaren Spuren von Klostermann.

Es war wegen der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes natürlich nicht möglich, alle mir bekannten neuen Informationen zu Klostermann hier anzusprechen und ausführlich darzustellen. Das bleibt einer ausführlichen, für später geplanten Gegenüberstellung von dem bisher schriftlich vorliegenden Material im Vergleich zu den zeitgenössischen Dokumenten vorbehalten. Aber es sollte hier eigentlich zunächst auch nur ein Einstieg in dieses Thema mit den neuen Fakten sein.

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